Matthias sitzt beim Skipper des Dreimasters Grotvoorst und blickt in die Ferne. Sein Blick schweift immer wieder von links nach rechts und bis zum Horizont ist nichts zu sehen als Wasser. Der Wind bläst in die Segel, die die Crew gerade gehisst hat, die Sonne spiegelt sich im Meer. Ein Lächeln huscht über Mathias Gesicht als eine Böe das Schiff ein wenig unruhig im Wasser schwanken lässt. Er ist einer von 15 Menschen mit geistiger Behinderung die am integrativen Segeltörn „Leinen Los“ teilnahmen. Erstmals hat der Förderverein „Humanitäre Botschaft e.V.“ einen solchen Trip organisiert, bei dem Menschen mit geistiger Behinderung zusammen mit Menschen ohne Handicap eine Woche lang durchs niederländische Ijsselmeer schipperten.
„Uns war von Anfang an wichtig eine gemischte Truppe an Bord zu haben, die alle anfallenden Arbeiten gemeinsam ausführt“, so Carsten de la Porte, Geschäftsführer des Vereins über die Intension dieser Reise. Neben dem Segelspass sollten vor allem soziale Kompetenz und gegenseitiges Verständnis geschult werden. Deshalb wurden gemischte Teams gebildet die abwechselnd zuständig waren für Küchendienst und Arbeiten auf Deck. Segel hissen und einholen wurde somit zum Gemeinschaftserlebnis bei dem man sich gegenseitig geholfen und unterstützt hat. „Und natürlich haben wir einander lautstark angefeuert und motiviert wenn es darum ging das Großsegel in die richtige Position zu bringen“, schmunzelt de la Porte.
Gestartet war die Crew in Enkhuizen und innerhalb einer ganzen Woche steuerte man viele Ziele im Ijssel- und Wattenmeer an. Dort wurde dann auch Trockengefallen – ein besonderes erlebnis, denn man lief bewusst auf Grund und wartete bis die Ebbe einsetzte. Spazieren im weichen Watt machte auch Matthias Spaß, der es sichtlich genoss Muscheln zu sammeln und im trockenen Meer umherzulaufen und als schließlich das Wasser zurückkam bekam jeder Frischling an Bord vom Maat noch eine zünftige Schiffstaufe verpasst.
Mit von der Partie war auch André Schubert, Manager bei der Würth-Gruppe, der eigens hierfür vom Unternehmen freigestellt wurde. „Seitenwechsel“ pur war das, denn fernab von alltäglicher Büroroutine war während der Reise in erster Linie Einfühlungsvermögen und Teamgeist gefragt. „Anfänglich hatte ich Bedenken ob ich in solch eine Gruppe hineinfinde, doch die Offenheit der Menschen mit Handicap hat mich schon bei der Abfahrt in Durlach beeindruckt“, so Schubert, der diese Erfahrung zum ersten Mal gemacht hat.
Den Schiffsalltag beging die insgesamt 21 köpfige Gruppe größtenteils gemeinsam. Unter Deck wurde „Mensch ärgere dich nicht“ gespielt und gemalt. Rolf, ebenfalls einer der Teilnehmer mit Handicap, von der Gruppe liebevoll „Seebär“ genannt, war der heimliche Chef, denn er hatte bereits Segelerfahrung. Und so war er es auch, der am letzten Abend ein Gedicht vortrug, dass er während der Tage an Bord verfasst hat. Über jeden Teilnehmer hat er eine Strophe geschrieben. „Treffender hätte man die einzelnen Charaktere nicht beschreiben können“, so Clemens Lennermann von der Lebenshilfe der während der Reise für die fotografische Dokumentation zuständig war. Wie überhaupt jeder Teilnehmer schon sehr schnell seine Rolle inne hatte. Da gab es Tänzer und Sänger, stille Wasser und Witzbolde und wie Christof, ein Teilnehmer der ursprünglich aus dem Elsass stammt, „Schaffer“. Er war stets als Erster zur Stelle, wenn es darum ging an irgendeinem Seil zu ziehen oder einen Fender zu setzen. „Es war toll zu sehen, wie sich jeder auf diese Reise vorbereitet hat. Fast alle waren ausgestattet mit Arbeitshandschuhen und segeltauglichem Schuhwerk“, beobachtete Steffen Mross, der für das seglerisch Fachliche innerhalb der Gruppe zuständig war und schon in der Vergangenheit mit Menschen mit Behinderung auf dem Ijsselmeer unterwegs war.
Natürlich waren auch Landgänge ein fester Bestandteil. In jedem Hafen gab es die Möglichkeit, Souvenirs zu shoppen und Postkarten zu kaufen. „Was hier auffällig war, war die Unbefangenheit der Holländer gegenüber Menschen mit Handicap, selbst wenn wir mit zehn Mann in einen kleinen Souvenirshop eingefallen sind“, resümiert Lennermann im Gespräch. Selbst das Skipper-Ehepaar Rita und Chris war beeindruckt von dieser bunt gemischten und doch so homogenen Truppe und so ließen sie es sich auch nicht nehmen regelmäßig beim gemeinsamen Abendessen teilzunehmen, das der eigens mitgereiste Schiffskoch Reiner in mühseliger Arbeit täglich frisch zubereitete. „Sonst machen die meisten Gruppen Ravioli warm oder es gibt Spaghetti mit Tomatensauce. Das kann man nach einer Weile nicht mehr sehen und hier gab es jeden Tag Salat“, schwärmt Rita die Skippersfrau.
Schlussendlich war die Reise eine wertvolle Erfahrung für alle Teilnehmer – ob mit oder ohne Behinderung. „Im Manager-Deutsch würde man sagen, es war eine erfolgreiche Teambuilding-Maßnahme bei der Emphatie und soziale Kompetenz entwickelt wurde, doch letztendlich war es Urlaub“, beurteilt de la Porte das erstmalige Experiment „Leinen Los“. Für nächstes Jahr ist das Schiff bereits wieder optioniert. Und als der „Seebär“ Rolf das hörte war denn auch ihm klar „Ich bin wieder dabei!“ Matthias übrigens auch...
Humanitäre Botschaft - Eine Stadt bringt was ins Rollen® e.V.
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