Im 35. Jahr des Bestehens des Durlacher Ortschaftsrates war der Zuschauerraum bei zwei aufeinanderfolgenden Sitzungen im Bürgersaal des Durlacher Rathauses voll besetzt: die Änderung des Verkehrskonzepts und der Grundsatzbeschluss zur Turmbergbahn zogen die Öffentlichkeit in ihren Bann. Und wer nicht persönlich erscheinen konnte, hatte wie immer Gelegenheit, die Sitzungen wenige Tage später auf Youtube anzuschauen. Im Jubiläumsjahr, das mit der 20-jährigen Amtszeit von Ortsvorsteherin Alexandra Ries zusammenfällt und bescheiden-angemessen im Festsaal der Karlsburg gefeiert wurde (siehe „Artikel zum Thema“), hat der Ortschaftsrat eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz erfahren; für viele Durlacherinnen und Durlacher ist er zur Selbstverständlichkeit geworden, sie kennen nichts anderes mehr.
Warum erst so spät?
Und doch: Insider werden sich fragen, warum der Ortschaftsrat noch so „jung“ ist. Den Ortschaftsrat von Hohenwettersbach beispielsweise gibt es schon über 50 Jahre und die Ortschaftsräte der anderen Bergdörfer sowie von Grötzingen und Neureut sind nur unwesentlich jünger. Warum wurde also der Ortschaftsrat Durlach, der, soweit ersichtlich, mit 22 gewählten Mitgliedern und einem Einzugsbereich von 30.795 Einwohnerinnen und Einwohnern (Stand Herbst 2024) der größte Baden-Württembergs sein dürfte, erst so spät gebildet?
Der Grund ist eine Spätfolge der nach nationalsozialistischem „Recht“ erfolgten Durlacher Zwangseingemeindung nach Karlsruhe von 1938. Während die in den 1970er Jahren eingemeindeten Umlandgemeinden wie selbstverständlich ihre demokratischen Stadtteilvertretungen fordern konnten, war Durlach, dessen berechtigte Ausgemeindungsversuche schon im Jahr 1950 ohne Debatte ein jähes Ende im gewiss nicht mit allzuvielen lupenreinen Demokraten besetzten württemberg-badischen Landtag gefunden hatten, überhaupt erst seit 1957 mit einem „Bezirksbeirat“ abgespeist worden. Das auch heute noch im baden-württembergischen Kommunalrecht existierende Gremium war zur eigenständigen Gestaltung von Kommunalpolitik schlichtweg ungeeignet. Die Sitzungen waren nicht öffentlich, die Mitglieder des Bezirksbeirates wurden von den Parteien und nicht von der Bevölkerung benannt und letztlich vom Karlsruher Gemeinderat bestellt, und häufig kam es zu Diskussionen, ob eine Angelegenheit so „wichtig“ sei, dass man sie im Bezirksbeirat erörtern müsse. Ein Beschluss- oder Vetorecht gab es nicht. Nicht selten hielten Bezirksbeiratsmitglieder selbst gegenüber den eigenen Durlacher Parteimitgliedern geheim, was im Bezirksbeirat beraten wurde, und beriefen sich auf die Nichtöffentlichkeit der Sitzungen. Den Vorsitz im Bezirksbeirat führte offiziell der Karlsruher Oberbürgermeister.
Viele Durlacher fühlten sich von Karlsruhe im Stich gelassen. Eine eigene Durlacher Kommunalpolitik gab es nicht.
Es kam Bewegung in die Sache
Mit der Kommunalwahl 1975 kam plötzlich Bewegung in die Sache. Als erste Partei forderte die SPD einen Ortschaftsrat für Durlach. Da nun aber plötzlich auch in Hagsfeld, Knielingen und Oberreut Ortschaftsräte entstehen sollten – eine Gleichstellung, die wiederum viele Durlacher nicht verstehen konnten – fürchteten manche Karlsruher Kommunalpolitiker ein Chaos der Gremien. Die Sache brodelte aber weiter, auch wenn die Mühlen – ganz karlsruhetypisch – langsam mahlten. Am 26. August 1982 titelte die damalige Durlacher Wochenzeitung „Turmberg-Rundschau“ auf Seite 1 die Schlagzeile „Bezirksbeirat hat nur geringe Rechte“ und belebte die Diskussion neu. Endlich weitere sechs Jahre später, am 28. Juni 1988, beschloss der Gemeinderat der Stadt Karlsruhe, für Durlach einen Ortschaftsrat einzurichten. 50 Jahre nach der Zwangseingemeindung hatte Durlach zwar seine Selbständigkeit nicht zurückgewonnen, aber immerhin eine gewählte Vertretung, die beschränkte kommunalpolitische Entscheidungsrechte hat und über eigene Haushaltsmittel verfügt.
Rechte des Ortschaftsrats
Nach § 70 der baden-württembergischen Gemeindeordnung hat der Ortschaftsrat in wichtigen Angelegenheiten ein Anhörungsrecht und in allen Angelegenheiten, die die Ortschaft betreffen, ein Vorschlagsrecht. Die Hauptsatzung der Stadt Karlsruhe hat in § 15 dem Ortschaftsrat auch ein Antragsrecht eingeräumt und ihm mehrere Angelegenheiten zur Entscheidung übertragen, darunter die Pflege des Ortsbildes und des örtlichen Brauchtums sowie der örtlichen Kultur, die Ausgestaltung und Unterhaltung von Sportanlagen, Kinderspielplätzen, Park- und Grünanlagen und der örtlichen Friedhöfe. Für seine Aufgaben steht dem Ortschaftsrat eine Investitionspauschale von rund einer halben Million Euro jährlich zur Verfügung, über deren Verwendung er frei bestimmen kann. Damit sind die Weichen für eine – wenn auch eingeschränkte – eigene kommunale Selbstverwaltung gestellt und man fährt rechtlich auf sicheren Gleisen und hat gute Gestaltungsmöglichkeiten.
Strukturelle Probleme
Ist damit alles in Ordnung? Gewiss nicht immer. Denn ein demokratisch gewähltes Gremium ist immer nur so gut wie die Demokraten, die ihm angehören und die mit ihm umgehen müssen. Und so lässt sich das eine oder andere strukturelle Problem nicht verleugnen:
Wie auch der Oberbürgermeister in „seinem“ Rathaus im manchmal weit entfernt scheinenden Karlsruhe ist auch die hauptamtliche Ortsvorsteherin Durlachs einerseits Chefin der örtlichen Verwaltung, dazu noch Beamtin der Stadt Karlsruhe, muss aber andererseits auch als Vorsitzende des Ortschaftsrates dessen Beschlüsse „vollziehen“, wie es im Gesetz steht, also umsetzen – und zwar auch dann, wenn solche Beschlüsse der (vor allem Karlsruher) Verwaltung missfallen. „Drohen“ tatsächlich solche Beschlüsse, wird immer wieder mal versucht, sie dem Ortschaftsrat schon im Vorfeld „auszureden“ und damit eine Abstimmung im Gremium zu unterbinden. Wer als gewählter Volksvertreter von einem Anliegen, gleich welcher Art, überzeugt ist, sollte hier aber nicht einknicken. Der Ortschaftsrat ist kein den städtischen Beamten untergeordneter Verwaltungshelfer, sondern ein politisches Beteiligungs- und Entscheidungsgremium. Nur mit dem entsprechenden Bewusstsein – das bekanntlich vom gesellschaftlichen Sein bestimmt wird – lassen sich Durlacher Interessen wirksam vertreten. Dazu gehört auch, darauf zu achten, dass gefasste Beschlüsse, gerade vermeintlich unliebsame, nicht in Vergessenheit geraten, sondern auch verwirklicht werden.
Zudem muss man – zweites Problem – stets wachsam sein, dass auch der rechtliche Rahmen gewahrt bleibt, wenn man es mit den Ämtern im Karlsruher Rathaus zu tun hat: Da kann es schon mal vorkommen, dass der Oberbürgermeister das Antragsrecht des Ortschaftsrates in Zweifel zieht, obwohl es in der Hauptsatzung festgeschrieben ist, dass das Stadtplanungsamt eine Fahrradstraße als verkehrsberuhigten Bereich im Alleingang als verkehrsrechtliche Anordnung verwirklichen will, obwohl in der Straßenverkehrsordnung sogar das Einvernehmen des Gemeinderates vorgesehen ist, und dass das Karlsruher Gartenbauamt hauptsatzungswidrig einen Spielplatz stilllegt, ohne das Durlacher Rathaus auch nur zu informieren.
Verantwortung für Durlach
Auch nach 35 Jahren ist die Arbeit des „jungen“ Durlacher Ortschaftsrates eine dauerhafte Herausforderung. Der Respekt vor dem dornenreichen Weg bis zu seiner Entstehung und die Verantwortung für einen „Stadtteil“ mit über 30.000 Einwohnern, der die Dimensionen einer Großen Kreisstadt hat, gebieten es, sich weiterhin hartnäckig und kreativ für die Interessen Durlachs einzusetzen und die eigenen Beschlusskompetenzen auszunutzen. In der Leistungsverwaltung geschieht nichts von selbst.