Gebaut wird auch in Durlach an vielen Stellen, doch keine der vielen Maßnahmen hatte in den vergangenen Monaten wohl solch eine Aufmerksamkeit wie jene am Hengstplatz. Denn bei Ausgrabungen für das „Hengstplatz-Karree“ wurden überraschend Gebeine gefunden. Rund 20 Skelette kamen bei den ersten Grabungen im Oktober 2023 in kürzester Zeit zum Vorschein, offensichtlich in christlicher Tradition und mitunter mit Schmuck ordentlich bestattet. „Es sind im regulären Bestattungsritus, Kopf im Westen, Füße im Osten, angelegte Einzelgräber, teils mit Sargresten“, so Dr. Folke Damminger vom Landesamt für Denkmalpflege (LAD).
Knochen aus Körpergräbern
Die Lage des offensichtlichen Friedhofs war durchaus überraschend, denn das Areal mit einem historischen Gasthaus (später „Wienerwald“ und „Cubanita“ sowie „Citroen Kuhn/Müller“) befand sich eigentlich außerhalb der alten Stadtmauer. Ungewöhnlich auch, dass nichts verzeichnet war, denn üblicherweise sind solche Orte in Kirchenbüchern oder Plänen verzeichnet. „Vermutlich gingen Unterlagen zu diesem Friedhof in den Kriegswirren der Jahrhunderte verloren“, mutmaßte der „Freundeskreis Pfinzgaumuseum — Historischer Verein Durlach“. Nach Angaben des LAD wurde 1532 erstmals ein Durlacher Gutleuthaus mit Kapelle und eigenem Friedhof erwähnt, allerdings weiter nordöstlich außerhalb der Stadt an der Straße nach Grötzingen. Reste desselben wurden 1935 freigelegt, so das LAD – und ergänzt: Der neu entdeckte Friedhof dürfte daher eher zu dem 1495 im Bereich der spätmittelalterlichen Stadterweiterung gegründeten Spital gehören.
Offensichtlich wurde bei den Bauarbeiten auf dem der spätmittelalterlichen Stadterweiterung vorgelagerten Gelände ein bislang unbekannter mittelalterlicher oder frühneuzeitlicher Friedhof angeschnitten. Wie immer aber, wenn bei Baumaßnahmen „außergewöhnliche Funde“ zu verzeichnen sind, kommt meist auch der Zeitplan für das Projekt etwas durcheinander – so auch in Durlach. Im Rahmen einer „Sachverhaltsfeststellung“ wurden durch das Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg (LAD) in kürzester Zeit weitere Skelette dokumentiert.
Doch in Verbindung mit den Skeletten gab es keine Hinweise auf Grabarchitektur, Grundmauern einer Kapelle oder ähnliches, wie Damminger erläuterte. Stück für Stück erhöhte sich jedoch bei den Untersuchungen die Anzahl der Gräber – und die Futtermauer des spätmittelalterlichen Stadtgrabens wurde freigelegt. Um das kulturelle Erbe vor der Zerstörung durch die geplante Bebauung zu bewahren und zu dokumentieren, wurde im Anschluss dann eine flächige Untersuchung im Auftrag des Investors durch die „ArchaeoBW“ vorgenommen. Die private Grabungsfirma, 2016 gegründet, unterstützt das Landesamt für Denkmalpflege bei der Dokumentation von Denkmälern, die von Zerstörung betroffen sind.
Rund 150 weitere, an der West-Ost-Achse orientierte Bestattungen traten letztlich zutage. Bei den Skeletten gefundene Kleiderhäkchen und eine Reihe von Totenkronen aus Frauengräbern sprechen für eine Datierung ins 16./17. Jahrhundert, erläuterte Damminger: Aufgrund dieser zeitlichen Einordnung und topographischer Überlegungen scheint es am wahrscheinlichsten, dass es sich um den Friedhof des um 1500 gegründeten und Ende des 17. Jahrhunderts zerstörten Durlacher Spitals handelt. Neben dem Friedhof konnte bei der flächigen Betrachtung auch der Graben der spätmittelalterlichen Stadtbefestigung mit Futter- und Zwingermauer dokumentiert werden, der neuzeitlich verfüllt wurde.
Was passiert nun auf dem Areal?
Die gefundenen Knochen – übrigens einzeln geborgen – wurden nach Abschluss der Grabungen dem LAD übergeben, werden nun im zentralen anthropologischen Archiv in Rastatt eingelagert. Dort stehen sie für weitere wissenschaftliche Untersuchungen zur Verfügung. Das Bauvorhaben kann nun ohne weitere Einschränkungen seitens des LAD ausgeführt werden – in Kürze wird dort dann ein weiterer Wohnkomplex zentral in Durlach entstehen.
Geschichtsträchtige Gegend
Der Fund der Skelette im November 2023 war übrigens nicht der erste „überraschende“ Fund in der Stadt: Im Juni 1912, so Robin Cordier, Vorsitzender des „Freundeskreis Pfinzgaumuseum — Historischer Verein Durlach“, berichtete zum Beispiel das „Durlacher Wochenblatt“ von einem Umbau in der Hauptstraße 4 – der heutigen Pfinztalstraße. Bei Grabungsarbeiten im Keller und Hof wurden damals rund 20 Gerippe gefunden: „Die Gerippe lagen in einer Entfernung von etwa 80 cm mit den Füßen nach Osten und Kopf nach Westen. Auch wurde ein Massengrab mit 8 Gerippen gefunden; in diesem lagen dieselben teils in der Richtung Ost-West und teils in der Richtung West-Ost“.