Leserbrief: Durlacher Stadtbild weiterhin in Gefahr

Blumentorstraße 4. Foto: om

Blumentorstraße 4. Fotos: om

Arbeitskreis Durlacher Stadtbild fordert dringend Erweiterung des Erhaltungssatzungsgebietes.

Auf einer Informationsveranstaltung der Bürgergemeinschaft Durlach und des Stadtamtes konnte man neulich einen Eindruck bekommen, wie das Stadtplanungsamt Tübingen mit prägenden Altbauten umgeht, selbst wenn diese nicht unter einem Einzel-Denkmalschutz als Kulturdenkmal stehen. Etliche Abrisse konnten im Dialog mit Bauherren und durch Satzungen bereits verhindert bzw. untersagt werden, um das charakteristische Ortsbild zu erhalten. In Karlsruhe und Durlach ist man trotz erster Schritte in die richtige Richtung hiervon noch weit entfernt. Verfügbares, historisches Wissen wird hier oft nicht angezapft.

Aus dem Kampf um das „Torwächterhaus“ am ehemaligen Ochsentor sollte die Verwaltung dabei inzwischen gelernt haben. Hier gab es massiven Protest aus der Bürgerschaft Durlachs, der für die Stadt Karlsruhe überraschend war. Doch der nun für die beschlossene Durlacher Erhaltungssatzung ausgewiesene Geltungsbereich ist - wenig fachlich nachvollziehbar - so begrenzt, dass viele stadtbildprägende Gebäude und Häuserensembles aus dem 19. und 20. Jahrhundert, aber auch selbst die Fayence und das historisch bedeutsame Gasthaus Ochsen darin nicht enthalten sind.

Aktuell sieht man die Fehlplanung bei der Erhaltungssatzung in der Blumentorstraße:

Hier wurden ausgerechnet die ältesten Gebäude der ehemaligen Blumenvorstadt um wenige Meter „vergessen“. Bei der Gebäudegruppe Blumentorstraße 4 („Farben Scheuble“) aus dem Jahr 1835 und Nr. 2 aus dem Jahr 1850 rechts daneben, die beide charakteristische Gebäude ihrer Zeit sind, erhielt nach Prüfung durch das Landesamt für Denkmalpflege lediglich das rechte Gebäude Nr. 2 die Einstufung als Kulturdenkmal. Das für den aufmerksamen Beobachter noch interessantere und ältere Gebäude Nummer 4, mit einem Walmdach, den typischen Dachgauben und einem weitgehend intakten Wirtschaftsgebäude im Hof, darf als – seit erfolgter Prüfung 2017 - nur noch „erhaltenswertes“ Gebäude allerdings nun abgerissen werden. Dies kann die Stadt noch verhindern, wenn sie es denn wirklich will und entsprechend begründet.

Wieder einmal sind es wie beim „Torwächterhaus“ ausschließlich für den Bürger unsichtbare, „durchgreifende Veränderungen im Inneren“, die die Inventarisation des Landesamtes für Denkmalpflege das Gebäude als Nicht-Kulturdenkmal einstufen ließen. Inzwischen wurde das Haus, nicht sehr überraschend, bereits an einen Wohnbauinvestor verkauft, der den Bebauungsplan maximal ausreizen und das Ensemble durch einen deutlich höheren Neubau mit etlichen Wohneinheiten zerstören wird. Der Anblick  wird dementsprechend furchtbar ausfallen, nicht nur von der nahen Endstation der Straßenbahn, sondern auch vom Hengstplatz her. Man sieht am neuen Anna-Leimbach-Haus, wie wenig harmonisch sich Neubauten ohne Gestaltungssatzung in die historische Umgebung einfügen, obwohl genau dieses Beispiel sogar innerhalb der Gesamtanlage liegt.

Die Gebäude aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind ein einzigartiges Beispiel für die Durlacher Wirtschaftsgeschichte dieser Zeit in der Blumenvorstadt. So ist das bedrohte Haus Nr. 4 auch im Gedenkbuch für die Karlsruher Juden an mehreren Stellen im Zusammenhang mit den früheren Eigentümern und Ladenbesitzern, der jüdischen Familie Kuttner, beschrieben. Deren Ladengeschäft war eine erfolgreiche Eisenwarenhandlung, die zuerst 1938 von SA-Schergen verwüstet und später nach einem erzwungenen Verkauf „arisiert“ wurde. Die Familienangehörigen wurden letztendlich im KZ Auschwitz grausam ermordet. Doch auch das Wirtschaftsgebäude im Hof ist interessant. Auf dem Türsturz sind die Initialen des Bauherren I.G.S. mit der Jahreszahl 1835 enthalten. In der Fassade sind zwei Kanonenkugeln und eine Tafel eingemauert mit der Inschrift „Den 25 ten Juni 1849“. Das dürfte wohl an die Schlacht bei der Obermühle 1849 erinnern.

Der scheidende Ortschaftrat und AK-Mitglied Ullrich Müller weist im Falle der Blumentor-Straße 4 auf die Rechtslage hin. Das Gebäude liegt ausserhalb der Gesamtanlagensatzung und es existiert ein Bebauungsplan von 1974, der im Karree Blumentor-, Pfinz-, Neuenstein- und Alte Weingartener Straße eine „3-geschossige, geschlossene Bebauung“ erlaubt. Leider, so Müller weiter, gibt es für „normale“ Kulturdenkmale wie das Gebäude Blumentorstraße 2 keinen Umgebungsschutz. Dieser gilt nur für in das Denkmalbuch eingetragene Kulturdenkmale von besonderer Bedeutung, wie z.B. die Karlsburg. Aber selbst dort wird der Umgebungsschutz nicht eingehalten, wie man an der Schlossschul-Neuplanung sieht. Bei der Blumentorstraße 4 ist es nun ein einfacher Formfehler.

Durch den großen Ermessensspielraum für die offenbar wenig sensibilisierte Denkmalschutz-Behörde, die bei der Erhaltung von historischen Bauwerken „im öffentlichen Interesse“ zuletzt oft durch negative Einzelfall-Entscheidungen auffiel, entscheidet diese quasi unbewusst mit, wie „ästhetisch“ am Ende ein Stadtbild sein darf. Sie bestimmt, was als Kulturdenkmal bleiben soll und was als „erhaltenswert“ möglicherweise vernichtet werden kann. Dabei werden kaum noch neue Kulturdenkmäler ausgewiesen, da die Anforderungen hierfür sehr hoch sind. Umbauten und Modernisierungen sind dem Denkmalschutz stets ein Dorn im Auge, sofern nicht mit ihr abgestimmt.

Weder die Bürgerschaft noch die politischen Gremien dürfen bei diesen Prozessen mitentscheiden. Erst wenn der Abrissantrag auf dem Tisch liegt, startet der politische Prozess. Weiter noch, normalerweise werden Abrissanträge für historische Gebäude nicht einmal in öffentlicher Sitzung des Ortschaftsrates oder Gemeinderates debattiert. Dies würde bei ortsbildprägenden Gebäuden, die über 100 Jahre alt sind, durchaus Sinn machen, wie auch einige Politiker inzwischen erkennen.

Ortschaftrat und AK-Mitglied Günter Malisius bemängelt, dass nun neben dem denkmalgeschützten Haus Blumentorstraße 2 bald ein moderner, viel höherer und somit unpassender Neubau regelrecht „angepappt“ wird. Der letzte nachvollziehbare Rest der ehemaligen Durlacher Blumenvorstadt wird gleichzeitig städtebaulich zerstört. Fachlich für viele nicht nachvollziehbar sei die Grenze der beschlossenen Aufstellung einer Erhaltungssatzung genau zwischen dem Neubau des Anna-Leimbach-Hauses und dem Gebäude von „Farben Scheuble“ gezogen worden.

Der Vorsitzende des Arbeitskreises Robin Cordier ist unzufrieden, dass auch weitere neuralgisch wichtige Gebäude Durlachs nicht im Gebiet der Satzung erfasst wurden. Hierzu zählen u.a. die Eglau-Villa in der Karlsburgstraße, die Jugendstil-Gebäudezeilen in der Marstallstraße gegenüber dem Schlossgarten, sowie in der Neuenstein- und Lamprechtstraße, die ehemalige Fayencefabrik, der Ochsen oder die ehemalige Krappfabrik. Cordier bedauert, dass vom Stadtplanungsamt Karlsruhe offensichtlich keine Historiker hinzugezogen wurden, um diese sensible Grenze zu ziehen. Hier ist eine Korrektur und fachliche Neubewertung dringend geboten. Denkmalpflege und Stadtbildpflege seien eine Gemeinwohlaufgabe von hohem Rang.

In Tübingen werden von der Denkmalpflege nicht geschützte Gebäude von einem unabhängigen Bauhistoriker nochmals untersucht, bevor diese für einen Abbruch frei gegeben werden dürfen. Hierzu stellt die Stadt jährlich einen gewissen Geldbetrag zur Verfügung. Eine Maßnahme, die auch in Karlsruhe dringend angebracht wäre, so der Arbeitskreis Stadtbild Durlach abschließend.

Weitere Informationen

Anmerkung der Redaktion: In der Ortschaftsratssitzung am 10. Juli 2019 war das Bauvorhaben Blumentorstraße 4 erneut Thema. Wieder wurde seitens der Stadtverwaltung betont, dass es sich um kein Kulturdenkmal handelt – auch nicht in reduzierter Form. Somit kann der Besitzer den Abrisszeitpunkt frei wählen, baurechtlich sei es nicht mehr aufzuhalten.

Ortschaftsrat Durlach auf www.durlacher.de

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