Karlsruhe zeigt erneut „Flagge gegen Rechts“. Die Stadt hat den unter dem Motto „Trotz §130 - Mord bleibt Mord“ für den 21. August 2010 angekündigten Aufmarsch der rechtsextremen Szene verboten. Die entsprechende Verfügung wurde dem Versammlungsleiter am heutigen Montag, 16. August 2010, zugestellt und legt auf über 20 Seiten detailliert die Gründe für das Verbot nieder. Das Ordnungs- und Bürgeramt kommt darin „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ zu dem Schluss, dass es sich bei der Veranstaltung um eine zentrale bundesweite Rudolf-Hess-Gedenkversammlung handelt, in der Hess als Verantwortungsträger und Leitfigur der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft zum Märtyrer stilisiert und die Nazi-Diktatur verherrlicht werden soll - Hess hatte sich am 17. August 1987 in Haft durch Erhängen das Leben genommen, die rechtsextreme Szene behauptet, er sei ermordet worden. Es ist ebenso wahrscheinlich, dass es bereits durch die Versammlung selbst sowie durch die Versammlungsteilnehmer zu erheblichen Verstößen gegen den §130 Strafgesetzbuch kommen wird. Den Absatz 4 dieses Paragrafen hat der Gesetzgeber im Jahr 2005 eigens neu eingefügt, um der Verletzung der Würde der Opfer des nationalsozialistischen Regimes durch dessen Verherrlichung oder Billigung wirksam entgegentreten zu können.
„Wir werden alle uns zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mittel einsetzen, um rechtsradikalem Gedankengut in Karlsruhe keine Plattform zu bieten. Das sind wir unserer Stadt schuldig, aber auch als Sitz des Bundesverfassungsgerichts trägt unsere Stadt eine besondere Verantwortung für die Bewahrung der Grundrechte als Basis für Freiheit und Demokratie in unserem Lande“, sagt Bürgermeister Wolfram Jäger in Vertretung von Oberbürgermeister Heinz Fenrich und macht unmissverständlich klar: „Dieser Verantwortung sind wir uns sehr wohl bewusst.“ Jäger informierte, dass OB Heinz Fenrich veranlasst hat, als öffentliches Zeichen für die eindeutige Haltung der Stadt und aller politischen und gesellschaftlichen Kräfte Karlsruhes die „Flagge gegen Rechts“ vor dem Rathaus zu hissen. Die Flagge ist Symbol geworden bei dem erfolgreichen Widerstand von Politik, Verwaltung und Bürgerschaft gegen die Bemühungen der rechten Szene, in Durlach ein politisches Zentrum zu etablieren.
In der Verbotsbegründung wird explizit auch auf die Grundrechte der Versammlungs- und Meinungsfreiheit eingegangen. Eine sachgerechte Abwägung zwischen diesen Verfassungsgütern und dem Grad der drohenden Gefahr sowie der Schwere der Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung führe zum Ergebnis, dass die Versammlung „verboten werden muss“. Es bestehe, wie schon bei früheren Veranstaltungen, erneut die Gefahr, dass das Versammlungsrecht missbraucht werden soll, um nationalsozialistische Ideen zu verherrlichen. Sowohl Versammlungsleiter, unterstützende Gruppierungen - im Internet werden als Veranstalter und Unterstützer Gruppierungen der rechten Szene bundesweit aufgeführt - als auch Art und Weise der angemeldeten Versammlung lassen drohende Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erkennen, die auch durch Auflagen nicht auszuräumen sind.
So sollte der Demonstrationszug mit einer von den Anmeldern bezifferten Teilnehmerzahl von bis zu 700 Personen von der Auftaktveranstaltung am Gottesauer Platz bis zur Abschlusskundgebung am Hauptbahnhof in Vierer-Formation mit Fackeln, Fahnen und Trommeln acht Kilometer durch die gesamte Kernstadt marschieren - unter anderem durch die engen Straßen der Südstadt, in der der Anteil der ausländischen Bevölkerung besonders hoch ist. In der Innenstadt würde der Verkehr auf den Hauptverkehrsachsen des ÖPNV zumindest auf Teilstrecken gänzlich zum Erliegen kommen.